Das Land Baden-Württemberg durfte der Humanistischen Union die Nutzung der im Landeseigentum stehenden Tennenbacher Kapelle verwehren. Das hat das Verwaltungsgericht Freiburg mit mittlerweile zugestelltem Urteil vom 30. Juli 2020 entschieden (Az. 9 K 4519/19).
Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union beantragte beim Land Baden-Württemberg im Jahr 2018 die Überlassung der in der Nähe von Emmendingen gelegenen Tennenbacher Kapelle für eine Podiumsdiskussion zum Thema „Zum Stand der Trennung von Staat und Kirche. Ein Verfassungsauftrag“. Eigentümer der Kapelle ist heute das Land Baden-Württemberg, nachdem das Eigentum im Zuge der napoleonischen Säkularisierung im Jahr 1806 von der Katholischen Kirche auf das Großherzogtum Baden übergegangen war. In einem Übereinkommen aus dem Jahr 1897 gestattete die damalige großherzogliche Verwaltung der katholischen Kirchengemeinde Emmendingen, die Kapelle zur Vornahme von kirchlichen Handlungen zu nutzen, woraufhin die Kapelle neu geweiht wurde. Unter Verweis auf diese Übereinkunft lehnte das Land den Antrag der Humanistischen Union ab. Hiergegen hat die Humanistische Union im November 2019 geklagt. Sie macht im Wesentlichen geltend, der Ausschluss verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz sowie andere ihrer Grundrechte.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt es aus, die Kapelle sei – anders als die Humanistische Union meine – keine öffentliche Sache oder Einrichtung, die der öffentlichen Nutzung durch die Allgemeinheit zu dienen bestimmt und gewidmet sei. Vielmehr folge aus dem Übereinkommen von 1897 ein ausschließliches Recht der katholischen Kirchengemeinde zur Nutzung der Kapelle zu kirchlichen Zwecken im Rahmen ihres kirchlichen Selbstbestimmungsrechts. Diese im Übereinkommen festgelegte kostenlose Überlassung der Kapelle werde als Staatsleistung an die Kirche durch eine spezielle Vorschrift des Grundgesetzes auch heute noch geschützt. Eine solche bereits durch die Verfassung selbst anerkannte Bevorzugung der Kirche verstoße nicht gegen den im Grundgesetz normierten allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz.
Einen Nutzungsanspruch könne die Humanistischen Union auch nicht daraus ableiten, dass die katholische Kirchengemeinde die Kapelle in anderen Fällen durchaus an Dritte überlasse, so etwa für evangelische Gottesdienste, für die Aufführung von Kirchenmusik oder für Benefizkonzerte mit weltlicher Musik, deren Erlös karitativen Zwecken im Gebiet der Kirchengemeinde zugutekomme. Diese Nutzungsunterlassungen fielen unter den weit zu verstehenden und von der Kirchengemeinde im Rahmen ihres kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nach eigenen Maßstäben auszufüllenden Begriff der „kirchlichen Handlungen“, für welche die Kapelle nach dem Übereinkommen genutzt werden dürfe. Bei Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts unterliege die Kirchengemeinde – anders als der Staat – im Übrigen nicht dem Neutralitätsgebot und dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot. Sie dürfe eine Überlassung der Kapelle an Dritte für Podiumsdiskussionen jeglicher Art auch ganz generell ausschließen, wenn sie solche Veranstaltungen aus ihrer kirchlichen Sicht für unvereinbar mit dem sakralen Charakter und der Atmosphäre des Kirchenraums halte.
Selbst wenn die Gemeinde mit einzelnen Nutzungsüberlassungen die Grenzen der Zweckbindung nach dem Übereinkommen überschreiten und die Kapelle zu nicht mehr kirchlichen, sondern ganz allgemeinen weltlichen Zwecken an andere Dritte vermieten und damit rechtswidrig handeln würde, folge daraus kein Anspruch der Humanistischen Union auf eine Überlassung an sie zu ebensolchen Zwecken. Denn das Grundrecht auf Gleichbehandlung vermittle keinen Anspruch auf Gleichheit im Unrecht.
Die die Humanistische Union ausschließende Vergabepraxis der Kirchengemeinde bezüglich der Kapelle verstoße auch nicht zu Lasten der Humanistischen Union gegen grundlegende Rechtsgrundsätze und das Diskriminierungsverbot, welche die Kirchengemeinde als Grenze ihres Selbstbestimmungsrechts zu beachten habe. Ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Weltanschauungsfreiheit sei nicht festzustellen. Der Humanistischen Union stünden zur Äußerung ihres weltanschaulichen Bekenntnisses zahlreiche andere Veranstaltungsorte zur Verfügung, wie etwa die im Landeseigentum stehenden Räume der Universität Freiburg oder auch das kirchliche Gemeindehaus der katholischen Kirchengemeinde in Emmendingen. Auch aus ihren Grundrechten auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit folge für die Humanistische Union kein Recht auf Verschaffung eines Zutritts zu Orten, die – wie die Kapelle – der Öffentlichkeit nicht schon allgemein und öffentlich zugänglich seien.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Humanistische Union kann innerhalb eines Monats – die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene – Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg einlegen.