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Geplanter Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses in der Radolfzeller Altstadt verstößt gegen das Rücksichtnahmegebot

Datum: 29.04.2022

Kurzbeschreibung: PM 29.04.2022

Geplanter Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses in der Radolfzeller Altstadt verstößt gegen das Rücksichtnahmegebot

Das Verwaltungsgericht Freiburg hat mit den Beteiligten nun bekannt gegebenen Urteilen vom 21.03.2022 (Az. 9 K 1103/21 und 9 K 1424/21) zwei Klagen von Grundstücksnachbarn gegen den geplanten Neubau eines mehrgeschossigen Wohn- und Geschäftshauses in der historischen Altstadt von Radolfzell an der alten Stadtmauer westlich des Pulverturms stattgegeben und den für das Vorhaben erteilten Bauvorbescheid der Stadt aufgehoben.

Die Stadt Radolfzell erteilte einem Investor im Februar 2020 einen Bauvorbescheid für die Errichtung eines Neubaus mit vier Vollgeschossen zuzüglich Dachgeschoss auf dem Gelände des im Jahr 2016 bei einem Brand zerstörten, ehemaligen Hotels „Viktoria“ am südlichen Rand der Altstadt in unmittelbarer Nähe zum Bahnhofsplatz und dem dahinterliegenden Bodenseeufer. In dem Neubau sind Geschäftsräume mit einer Fläche von insgesamt rund 280 m2 sowie acht Wohneinheiten geplant, die als Ferienwohnungen genutzt werden sollen. Im Frühjahr 2021 reichten mehrere Grundstücksnachbarn beim Verwaltungsgericht Klage ein.

Nach der Einnahme eines Augenscheins gab das Gericht den beiden Klagen der Grundstücksnachbarn gegen den erteilten Bauvorbescheid im Wesentlichen mit der Begründung statt, das Vorhaben sei ihnen gegenüber rücksichtslos.

In einem Fall verletze das Vorhaben das schutzwürdige Interesse der Kläger an einer ausreichenden Belichtung und Belüftung und gesunden Wohnverhältnissen, da die geplanten Balkone des Neubaus einen Abstand von nur 60 cm zu den Fenstern ihres Wohnhauses einhielten. Durch den geringen Abstand würden die betroffenen Wohnungen, die bedingt durch die alte Häusersubstanz und die verwinkelte Altstadtlage ohnehin nur spärlich mit Tageslicht beleuchtet seien, unzumutbar verdunkelt. Zudem bestünden von den geplanten Balkonen, die buchstäblich nur eine Armlänge von den Fenstern entfernt wären, wie von einer Plattform direkte Einsichtsmöglichkeiten in Schlaf- und Wohnzimmer. Angesichts der ohnehin schlechten Belichtungssituation in den Wohnungen und des Umstands, dass die betroffenen Räume dem dauerhaften Aufenthalt dienten, könnten die Bewohner nicht darauf verwiesen werden, sich ganztägig mit einem Sichtschutz (wie Rollläden, Gardinen) vor unerwünschten Einblicken zu schützen.

Auf ein anderes, ca. 15 m entferntes Wohnhaus habe der geplante Neubau eine „erdrückende“ Wirkung. Zwar sei der geplante Baukörper nicht deutlich höher als die umliegenden Gebäude, gleichwohl füge er sich im Hinblick auf seine Massivität nicht in die Umgebungsbebauung ein. Außerdem führe die Umsetzung des Vorhabens zu einer nicht mehr hinnehmbaren Verschattung des bisher als Garten genutzten Innenhofs und einer „Einkesselung“ des Grundstücks, da dieses an drei Seiten von Bebauung umschlossen wäre und sich die Kläger einem massiven Gebäuderiegel gegenübersähen. Zu berücksichtigen sei ausnahmsweise auch die herausragende Aussicht auf den Bodensee und die Alpen, die den Klägern durch das Vorhaben vollständig genommen würde. Weiter falle ins Gewicht, dass der geplante Baukörper die denkmalgeschützte Stadtmauer auf dem Grundstück der Kläger, zu deren Erhaltung sie verpflichtet seien, verdecken und ihren Denkmalwert damit erheblich schmälern würde.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die unterlegene Stadt und der beigeladene Investor können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einen Antrag auf Zulassung der Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim stellen.

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