Bei der Wahl zur Vollversammlung der Handwerkskammer Konstanz im Jahr 2019 wurde gegen das Gebot der Chancengleichheit aller Wahlbewerber verstoßen. Die Wahl ist daher von der Handwerkskammer Konstanz für ungültig zu erklären. Dies entschied das Verwaltungsgericht Freiburg mit nun bekannt gegebenem Urteil vom 19.06.2024 (1 K 3575/22).
Bei der Wahl zur Vollversammlung der Handwerkskammer Konstanz im Jahr 2019 waren zwei Wahlvorschläge für die Wahl der Vertreter des selbstständigen Handwerks und des handwerksähnlichen Gewerbes zugelassen. Neben dem von den Innungen organisierten Wahlvorschlag Nr. 1 „Starkes Handwerk - Gemeinsam in die Zukunft“ (Liste 1) handelte es sich um den Wahlvorschlag Nr. 2 „Freie Handwerker für Kammer ohne Zwang“ (Liste 2). Bei der bis zum 01.07.2019 abgehaltenen Wahl entfielen 1224 Stimmen auf die Liste 1 sowie 1024 Stimmen auf die Liste 2. Ein Handwerksmeister, welcher die Liste 2 maßgeblich initiiert hatte (im Folgenden: Kläger), erhob im Januar 2020 Einspruch gegen die Wahl. Dieser wurde von der Handwerkskammer Konstanz im Februar 2022 zurückgewiesen. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Handwerkskammer Konstanz mit Bescheid vom 12.12.2022 zurück. Der am 22.12.2022 erhobenen Klage gab das Verwaltungsgericht nun - auf die mündliche Verhandlung am 21.06.2024 - im Wesentlichen mit folgender Begründung statt:
Die Äußerungen zweier Amtsträger der Kreishandwerkerschaft sowie der Handwerksinnungen in Gesamtschau mit dem Briefwahltransport der Liste 1 führten zur Ungültigkeit der Wahl. Für die Wahlen zur Vollversammlung der Handwerkskammern müssten die Anforderungen einer gleichen, allgemeinen und freien Wahl erfüllt sein. Damit seien die Kreishandwerkerschaft und die Handwerksinnungen, die auch öffentliche Aufgaben wahrzunehmen hätten, an die Neutralitätspflicht gebunden.
Durch wahlkämpferische Äußerungen von Amtsträgern des organisierten Handwerks sei gegen die Neutralitätspflicht verstoßen worden. Bei der Delegiertenversammlung der Kreishandwerkerschaft Waldshut am 04.04.2019 habe der Vorsitzende der Kreishandwerkerschaft für die Liste 1 geworben. Den Wahlbewerbern der Liste 2 hätten vergleichbare Einflussmöglichkeiten nicht zur Verfügung gestanden. Ähnlich verhalte es sich mit Äußerungen im Rahmen der Hauptversammlung Metall 2019 der Kreishandwerkerschaft Waldshut vom 28.05.2019. Auch hier sei im Rahmen einer Veranstaltung der organisierten Handwerkerschaft offen Wahlkampf für die Liste 1 betrieben worden, ohne dass der Liste 2 eine ähnliche Möglichkeit eingeräumt worden wäre.
Die Verstöße gegen das Neutralitätsgebot seien auch ursächlich für den Wahlausgang. Bei einem Wahlergebnis mit einer Mehrheit von (nur) 200 Stimmen könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Einflussnahme zu einer so erheblichen Beeinflussung der Wahl geführt habe, dass sie für das Wahlergebnis mitursächlich gewesen sei.
Die weiteren vom Kläger gegen die Wahl erhobenen Einwände wies das Verwaltungsgericht zurück. Die Regelungen zur Wahl verstießen nicht gegen höherrangiges Recht. Auch sei die Pflichtmitgliedschaft in der Handwerkskammer mit dem Grundgesetz vereinbar.
Das Verwaltungsgericht hat die Berufung zugelassen. Die Frage, ob die Grundsätze der Chancengleichheit und des Neutralitätsgebots auch auf Wahlen der Handwerkskammer Anwendung fänden, habe grundsätzliche Bedeutung.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Handwerkskammer Konstanz kann Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim einlegen.