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Verbot von "Gehsteigberatung" voraussichtlich rechtmäßig

Datum: 10.03.2011

Kurzbeschreibung: PM vom 10.03.2011

Mit den Beteiligten heute zugestelltem Beschluss vom 4. März 2011 (4 K 314/11) hat das Verwaltungsgericht Freiburg den Antrag des Vereins „Lebenszentrum – Helfer für Gottes Kostbare Kinder Deutschland e. V.“ auf vorläufigen Rechtsschutz gegen das Verbot sogenannter Gehsteigberatungen abgelehnt. Die Stadt Freiburg hat dem Verein und von ihm beauftragten Personen unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 250,-- EUR untersagt, Personen in der Humboldtstraße in der Freiburger Innenstadt, an der auch die Beratungsstelle von pro familia e.V. liegt, auf eine Schwangerschaftskonfliktsituation anzusprechen oder ihnen unaufgefordert Broschüren, Bilder oder Gegenstände zu diesem Thema zu zeigen oder zu überreichen.

Zur Begründung ihrer Entscheidung hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts im Wesentlichen ausgeführt, die Untersagungsverfügung sei voraussichtlich rechtmäßig. Sie sei so zu verstehen, dass sie neben der persönlichen Ansprache auf eine Schwangerschaftskonfliktsituation nur das unaufgeforderte und gezielte, individuelle Hinhalten und Überreichen von Broschüren, Bildern und Gegenständen an bewusst ausgesuchte Personen verbiete. Ungezielte, an die Allgemeinheit gerichtete Formen der Meinungskundgabe wie etwa Mahnwachen oder das Hochhalten von Transparenten seien, wie es die Meinungsfreiheit gebiete, weiterhin zulässig. Die Stadt habe nicht etwa eine Bannmeile gegen den Verein verhängt.

Die Stadt dürfe hier polizeirechtlich einschreiten, weil Grundrechte einer unbestimmten Vielzahl von Frauen bedroht würden. Die gezielte Ansprache von (vermeintlich) Schwangeren auf eine denkbare Konfliktsituation sei geeignet, deren allgemeines Persönlichkeitsrecht zu bedrohen. Sie löse, zumal flankiert durch bildliche Darstellungen und eine gewisse Intensität der Gesprächsführung, in einer seelisch ohnehin belastenden Situation jedenfalls subjektiv einen Erklärungs- oder Rechtfertigungsbedarf der schwangeren Frau aus. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze die Privatsphäre und damit auch die Gedanken- und Gefühlswelt eines Menschen. Der Umstand einer Schwangerschaft sei zweifellos dem höchstpersönlichen Bereich der schwangeren Frau zuzuordnen. Gerade für das erste Schwangerschaftsdrittel bestehe ein gesellschaftlicher Konsens, dass das Wissen um die Schwangerschaft zunächst im engeren persönlichen Kreis verbleibe. Die Ansprache durch unbekannte Dritte auf der Straße auf eine etwa bestehende Schwangerschaft sei unüblich und dürfte gemessen an den sonstigen gesellschaftlichen Gepflogenheiten ein nicht unbeträchtliches Maß an Distanzlosigkeit erfordern. Das weitgehende Eindringen in die Privatsphäre werde noch verstärkt, wenn der Ansprache auf eine bestehende Schwangerschaft die Frage nach einer Schwangerschaftskonfliktsituation folge. Die Schwangere werde gerade unmittelbar vor oder nach einem Schwangerschaftskonfliktberatungsgespräch in einem überaus verletzbaren seelischen Zustand getroffen. Dadurch werde bereits die Abwehr eines weiteren Eindringens in die eigene Privatsphäre zu einer Herausforderung, zumal dann, wenn die Nachfragen mit einem bestimmten Meinungsprogramm verbunden seien.

Allerdings könnten grundrechtliche Freiheiten Dritter das allgemeine Persönlichkeitsrecht einschränken. Hier umfasse die Meinungsfreiheit des antragstellenden Vereins sämtliche der im Streit stehenden Verhaltensweisen. Die Kammer messe der Meinungsfreiheit des Vereins bedeutendes Gewicht bei. Nur die freie öffentliche Diskussion über Gegenstände von allgemeiner Bedeutung, zu denen die Debatte um den Schutz des ungeborenen Lebens zweifelsohne zu rechnen sei, sichere die freie Bildung der öffentlichen Meinung, die sich im freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat notwendig pluralistisch im Widerstreit verschiedener Auffassungen vollziehe. Die Meinungsfreiheit umfasse auch das Recht, selbst zu bestimmen, wo und wann die Meinungskundgabe erfolgt, zumal an Orten, an denen ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet sei. Die Meinungsfreiheit gelte jedoch nicht vorbehaltlos. Hier kollidiere die Meinung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Betroffenen, vor dem die untersagten Verhaltensweisen keinen Vorrang beanspruchen könnten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei es nicht ausgeschlossen, bestimmte Formen von Protestaktionen der Abtreibungsgegner zu verbieten, wenn Rechte Dritter dies erforderten. Die Meinungsfreiheit schütze keine Tätigkeiten, mit denen anderen eine Meinung aufgedrängt werden solle und die die betroffenen Frauen gleichsam einem psychischen Spießrutenlauf aussetzten. Es möge sein, dass sich die Gehsteigberatung nicht notwendig als ein solcher Spießrutenlauf darstellen müsse. Sie könne hier aber wegen ihrer situativ bedrängend wirkenden Einmischung in einen sehr persönlichen Lebensbereich in unmittelbarer räumlicher Nähe zu einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle untersagt werden. Es gehe auch um den Schutz des gesetzlichen Beratungskonzepts, das nicht zuletzt im Interesse des ungeborenen Lebens einen höheren Schutz des Persönlichkeitsrechts nahe lege und gewisse Einschränkungen des Meinungskampfes noch als hinnehmbar erscheinen lasse. Dabei sei für die Kammer von ausschlaggebender Bedeutung, dass die „Gehsteigberatung“ überall im Stadtgebiet mit Ausnahme der Humboldtstraße zulässig bleibe und auch dort die Meinungsäußerungsfreiheit des Vereins und der von ihm beauftragten Personen nicht gänzlich eingeschränkt sei. Angesichts der Kürze der Humboldtstraße von 70m sei es auch im Hinblick auf die Rechtssicherheit und Vollstreckbarkeit der Verfügung nicht angezeigt, den von der „Gehsteigberatung“ ausgeschlossenen Bereich räumlich noch enger zu fassen.

Die Meinungsfreiheit gebiete auch nicht, eine Ansprache der Frauen nach dem Schwangerschaftskonfliktgespräch bei Verlassen der Beratungsstelle zuzulassen. Mit der gesetzlich ausgestalteten Schwangerschaftskonfliktberatung vertrage sich die „Gehsteigberatung“ in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang nicht. Die gesetzlich vorgesehene Beratung solle ermutigen, nicht einschüchtern, Verständnis wecken, nicht belehren, und die Verantwortung der Frau stärken, nicht sie bevormunden. Das stelle hohe Anforderungen an die inhaltliche Ausgestaltung der Beratung und an die persönliche und fachliche Kompetenz der Personen, die sie durchführten. Die „Gehsteigberatung“ des antragstellenden Vereins gerate mit diesem ausdifferenzierten Konzept des Gesetzgebers beinahe notwendig in Konflikt. Sie könne schon den Rahmen des vertraulichen Ortes nicht gewährleisten und die Anonymität der Schwangeren nicht absichern; die persönliche und fachliche Kompetenz der beratenden Personen sei nicht gewährleistet, und es fehle an der Ergebnisoffenheit der Beratung. Das gesetzliche Beratungskonzept könne, solle es wirksam und dem Schutz des ungeborenen Lebens dienlich sein, nicht dadurch konterkariert werden, dass sogleich nach dem Verlassen der Beratungsstelle auf dem Gehsteig eine ungefragte Ansprache durch hierfür nicht hinreichend geschulte Personen erfolge, die in Kenntnis der seelischen Anfälligkeit und Verletzbarkeit der Schwangeren ein nicht den gesetzlichen Grundsätzen entsprechendes, inhaltlich einseitiges Gespräch an die Stelle des gesetzlichen Beratungskonzepts zu setzen versuchten.

Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten können innerhalb von zwei Wochen Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg einlegen.



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