Dem Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung für einen Arbeitnehmer, der sich im Dezember 2021 nach einer SARS-CoV-2-Infektion in Absonderung bzw. Quarantäne begeben musste, steht nicht entgegen, dass der Arbeitnehmer keine Covid 19-Impfung in Anspruch genommen hatte. Dies entschied das Verwaltungsgericht Freiburg mit Urteil vom 02.03.2023 (10 K 664/22; Volltext der Entscheidung abrufbar unter https://verwaltungsgericht-freiburg.justiz-bw.de/pb/,Lde/Startseite/Service).
Der Arbeitnehmer musste sich vom 09.12.2021 bis 24.12.2021 nach der damals geltenden Corona-Verordnung Absonderung aufgrund eines positiven SARS-CoV-2-Tests in Quarantäne begeben. Sein Arbeitgeber, der seinen Lohn in diesem Zeitraum fortgezahlt hatte, beantragte daraufhin bei der zuständigen Behörde, dem Regierungspräsidium Freiburg, die Erstattung des Verdienstausfalls und der entrichteten Sozialversicherungsbeiträge. Der Antrag bezog sich nur auf den Zeitraum 14.12.2021 bis 24.12.2021 und nicht auf die vorherigen Krankheitstage (09.12.2021 bis 13.12.2021), für die der Arbeitnehmer aufgrund des Entgeltfortzahlungsgesetzes seinen Lohn weiter erhalten hatte. Das Regierungspräsidium lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Arbeitnehmer hätte von der seit September 2021 bestehenden Impfmöglichkeit Gebrauch machen und dadurch die Absonderung vermeiden können. Dieser Argumentation ist das Verwaltungsgericht nicht gefolgt. Es gab der vom Arbeitgeber erhobenen Klage statt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Nach § 56 Abs. 1 Satz 4 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in der im Dezember 2021 maßgeblichen Fassung habe derjenige keine Entschädigung für den während einer Absonderung erlittenen Verdienstausfall erhalten, der durch Inanspruchnahme einer öffentlich empfohlenen Schutzimpfung die Absonderung hätte vermeiden können. Zwar habe in Baden-Württemberg eine Empfehlung für Covid 19-Impfungen vorgelegen. Durch eine solche Impfung hätte der Arbeitnehmer aber seine Absonderung nicht im Sinne des Gesetzes vermeiden können. Dies gelte zunächst mit Blick auf die damalige Corona-Verordnung Absonderung. Diese habe eine Absonderungspflicht für infizierte Personen unabhängig von ihrem Impfstatus sowie von Krankheitssymptomen vorgesehen.
Darüber hinaus hätte der Arbeitnehmer die Infektion durch die Impfung auch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verhindern können. Zwar fordere das IfSG keinen 100%igen Impfungsschutz. Der Gesetzgeber verlange aber, dass die Absonderung in vorwerfbarer Weise „verursacht“ worden sei. Die Impfempfehlung allein reiche hierfür nicht aus. Vielmehr sei zumindest Voraussetzung, dass die Impfung die - die Absonderungspflicht bereits auslösende - Infektion mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen hätte. Davon sei aber hinsichtlich der Covid 19-Impfung bezogen auf den maßgeblichen Zeitraum Dezember 2021 (als die sogenannte Delta-Variante vorherrschend gewesen sei) nicht auszugehen. Das Regierungspräsidium habe sich darauf gestützt, dass das Robert Koch-Institut damals hinsichtlich der maßgeblichen Altersgruppe (18-59 Jahre) eine 69 %ige Impfeffektivität festgestellt habe. Bei der Ermittlung dieses Wertes seien aber nur erkrankte Personen und nicht asymptomatisch Infizierte erfasst gewesen, welche ebenfalls von der Absonderungspflicht erfasst gewesen seien. Rechne man dem Anteil der Impfdurchbrüche (Covid 19-Fälle mit Erkrankungssymptomen) noch die asymptomatischen Infektionen hinzu, dürfte sich der vom Regierungspräsidium in Ansatz gebrachte Wert zur Impfeffektivität von 67 % mit Blick auf die Möglichkeit der Verhinderung der Absonderung um weitere Prozentpunkte verringern. Von einer zumindest weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit könne damit nicht ausgegangen werden.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Regierungspräsidium hat die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Berufung eingelegt.